Kintsugi, die Kunst des Reparierens von zerbrochenem Porzellan mit goldenem oder silbernem Klebstoff ist eine kraftvolle Metapher für die menschliche Heilung und Resilienz. In diesem Blog-Artikel möchte ich Ihnen die faszinierende Philosophie von Kintsugi näher bringen und wie sie meinen ganz persönlichen Blick auf Psychotherapie widerspiegelt.
Kintsugi, wörtlich übersetzt als “goldene Verbindung”, wurde im 15. Jahrhundert in Japan entwickelt und geht über das bloße Reparieren von gebrochenem Porzellan hinaus. Es stellt vielmehr eine ästhetische und philosophische Tradition dar, die darauf abzielt, die Vergangenheit zu ehren und Schönheit in den Brüchen zu finden. Statt die Risse zu verbergen, werden sie mit goldenem oder silbernem Klebstoff gefüllt, um das Objekt zu reparieren. Das Endergebnis ist ein einzigartiges Kunstwerk, das die Spuren seiner Verletzlichkeit trägt und dennoch seine Schönheit und Wertigkeit behält.
Diese Idee von Kintsugi lässt sich auf die menschliche Psyche übertragen. Wir alle tragen emotionalen Schmerz und Narben aus unserer Vergangenheit. Die Herausforderungen, die wir erlebt haben, die Fehler, die wir begangen haben und die Brüche, die wir erlitten haben, machen uns zu dem, was wir sind. Anstatt diese Brüche zu verleugnen oder zu verbergen, können wir sie als Teil unserer Geschichte annehmen und ihnen mit Mitgefühl begegnen.
In meiner Psychotherapie nutze ich Kintsugi als Metapher, um den Heilungsprozess meiner Klienten zu unterstützen. Wie der Künstler, der das zerbrochene Porzellan repariert, können wir in der Therapie lernen, die Brüche in unserem Leben anzuerkennen und ihnen mitfühlend zu begegnen. Anstatt den Fokus auf die Defekte zu legen, wird die Aufmerksamkeit auf die Stärke und die Ressourcen gerichtet, die aus den Brüchen hervorgehen können. Die Erfahrung des Wiederzusammensetzens und des “Verschönerns” der Brüche kann zu einer Neuausrichtung des Selbstverständnisses führen und eine tiefere Wertschätzung für die eigenen Erfahrungen und die persönliche Entwicklung ermöglichen.
Kintsugi erinnert uns auch daran, dass Perfektion nicht das Ziel sein muss. In unserer heutigen Gesellschaft, die oft nach Makellosigkeit und Fehlerfreiheit strebt, kann die Vorstellung, dass die Brüche Teil unserer Schönheit sind, befreiend sein. Es ermutigt uns, uns selbst anzunehmen, einschließlich unserer Verletzlichkeiten und Fehler, und die Bedeutung unserer persönlichen Erfahrungen zu erkennen.
“There is a crack in everything, that’s how the light gets in.” - Leonard Cohen
Die Prinzipien von Kintsugi können auch auf zwischenmenschliche Beziehungen angewendet werden. Wenn wir die Idee akzeptieren, dass Brüche und Verletzungen unausweichliche Bestandteile des Lebens sind, können wir anderen mit mehr Mitgefühl und Verständnis begegnen. Wir können uns daran erinnern, dass jeder seine eigene Geschichte hat und dass unsere Beziehungen durch die Art und Weise, wie wir mit den Brüchen umgehen, gestärkt werden können.
Kintsugi lehrt uns, dass “broken” durchaus auch “beautiful” ist. Die Idee, dass unsere Brüche und Narben uns nicht entwerten, sondern uns einzigartig und kostbar machen, ist eine inspirierende Perspektive. Indem wir die Philosophie von Kintsugi in unsere eigene Lebensweise und in die Psychotherapie integrieren, können wir eine tiefe Selbstakzeptanz und eine neue Wertschätzung für die menschliche Resilienz und Schönheit entwickeln.
Abschließend können wir sagen, dass Kintsugi uns daran erinnert, dass wir nicht perfekt sein müssen, um wertvoll zu sein. Unsere Brüche und Verletzungen sind Teil unserer Geschichte, und indem wir ihnen mit Mitgefühl und Akzeptanz begegnen, können wir neue Schönheit und Stärke in uns entdecken. So wie das reparierte Porzellan mit goldenem oder silbernem Klebstoff, können wir uns selbst als Kunstwerke betrachten - einzigartig, wertvoll und voller kostbarer Geschichten, die erzählt werden wollen.
Foto: Riho Kitagawa auf Unsplash